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Eine Weihnachtserzählung... Eine Weihnachtserzählung...

“Omi, was ist da im Holzschuppen?” fragt Annie und deutet auf den Bretterverschlag im Garten. „Ach nichts, Annie, nur Gerümpel, Zeugs aus der Vergangenheit, nichts von Bedeutung, nichts was man noch braucht“

„Omi, bitte, lass uns da reingehen. Ich will das sehen was du nicht mehr brauchst. Vielleicht brauch ich es ja noch … Bitte bitte bitte …“ bettelt Annie, hüpft aufgeregt auf ihren Zehenspitzen und schaut mich mit ihren stahlblauen Augen an.

„Omi, Omi, ich will da rein…. bitte!!!“

„Aber Annie, wir wollen doch den Weihnachtsbaum schmücken, hast du das schon vergessen?“. „Nein, hab ich nicht vergessen, aber das Christkind kommt doch erst heute Abend, oder Omi? “ „Hmmm … na gut, Annie, dann komm, lass uns schauen, was du da noch alles gebrauchen kannst…“ und sie stürmt los, in ihrem Kleidchen rennt sie sie so schnell sie kann in den Garten. „Komm Omi…“

Die Tür des Schuppens ist mächtig, ich drücke die schwere Klinke herunter und Annie stemmt sich unter mir mit beiden Armen fest dagegen und drückt sie auf. Dunkel ist es, die Fenster sind verhangen mit Leinensäcke, etwas Licht dringt durch die Spalten, Spinnweben überall, Staub, ein etwas muffiger Geruch, schon Ewigkeiten war niemand mehr hier … eine von unserem Besuch in ihrem Reich überraschte Maus sucht noch schnell ihr Versteck auf.

Annie schaut mich von unten an, hat etwas Angst, klammert sich an mein Hosenbein und blickt etwas ängstlich zu mir hoch. Ein Sonnenstrahl fällt hell auf ihr Gesicht, ihre Augen funkeln darin … ganz hellblau… ganz glänzend und jung … mein Gott, wie ich dieses Kind liebe … „Komm Annie, lass uns mal was Licht machen hier drin…“
Ich rupfe die Leinensäcke von den Fenstern weg, der Raum flutet sich mit der hellen Kraft der Wintersonne, der Staub wirbelt in den einfallenden Sonnenstrahlen, Annie steht mitten drin im Licht, hustet und blinzelt umher.“

Annie hat einen alten Spiegel entdeckt. Er steht auf dem Boden, sie kniet davor. Ich hocke mich zu ihr herunter. Wir beide schauen hinein. Die Sonne streift unsere beiden Gesichter … ihres so jung und unverbraucht, meines so gelebt … schmerzhaft wird mir bewusst, wie vergänglich alles ist aber auch, wie gut alles war.
Annie lächelt uns an im Spiegel, dreht sich um, drückt mir einen Kuss auf die Wange und stürmt los zu ihrer Entdeckungsreise im Schuppen.

„Omi, was ist da drunter“ fragt sie und zeigt auf einen großen Gegenstand, der an der Wand lehnt. „Ich weiß nicht, Annie. Mach doch mal auf.“ Sie klappt die große Plane auf und blickt darunter. „Guck mal, Omi… das ist ja ein Motorrad?“ sagt sie erstaunt. Ich erkenne was es ist und hunderte von Erinnerungen durchschießen mich … werfen mich zurück … viele Jahre zurück. Holen mir eine Zeit zurück, an die ich schon lang nicht mehr gedacht habe.

„Ja, Annie … ich weiß, was das ist…“ Ich setze mich neben Sie auf einen Stapel alter Leinensäcke. „Das ist mein Motorrad… Weißt Du, als die Omi noch jünger war, da war sie mit einem Motorrad unterwegs. Immer wieder unterwegs auf längeren Reisen. Sie ist mit dem Motorrad durch mehrere Teile der Welt gefahren.
Ich betrachte meine “alte Lady” von allen Seiten, langsam ziehe ich mir den Helm über den Kopf, der am Spiegel hängt und ein immer noch wohlbekannter süsslicher Duft von Schweiß und Helmpolster zieht durch meine Nase. Unglaublich, was so ein Geruch ausrichtet. Erinnerungen werden plötzlich konkreter, werden Geschichten, Erlebnisse, Bilder … sind wieder da, ergreifen mich. Bin ergriffen … „Oma … was machst Du da drin? Geht’s dir gut? Du atmest so…?“ … „Ja, ja, Annie, mir geht es gut“ sage ich heiser …

Ich ziehe den Helm wieder ab. Annie sieht meine leicht feuchten Augen, sagt aber nichts … ich entdecke die vielen Kratzer. Und auch die Geschichten zu den Kratzern beginnen sich aus meinem Reiseherzen nach oben zu arbeiten. Insbesondere die eine.

„Siehst Du den kleinen Weihnachtsmann am Lenker, Annie? Sie schaut sich den vergilbten Weihnachtsmann an oder das was man davon noch erkennen kann an und streicht mit ihren Kinderfingern darüber … „Ja, sehe ich … woher ist der?“ … Den habe ich mir mal gekauft, als ich Weihnachten fern von meinen Liebsten war – fern von meiner Familie, fern von meinen Freunden.

„Warum?“ fragt sie erstaunt und schaut mich unglaubwürdig an. „Nun ja, ich dachte ich könnte mir so ein Stückchen Heimat verschaffen“ sagte ich, musste lachen. Auf einmal war doch wieder alles so präsent, so als wenn es gestern war … war es doch der Tag an dem ich mit so großer Sicherheit und ganz plötzlich wusste, wo ich hingehöre, wo mein Platz ist. Ich, die Weltenbummlerin, die Rastlose, die Suchende, … alles änderte sich in diesen Tagen.

Irgendwo glaube ich ist eine solche Zeit in jedem Leben verborgen und wir sollten ihn nicht verpassen, diesen Augenblick, diese Chance, diesen Moment.
Es ist vielleicht nur ein kurzer Blick, der es in einem Bruchteil einer Sekunde warm in der Brust werden lässt, der in einem Bruchteil einer Sekunde, deine gesamte Aufmerksamkeit einfängt. Ein Moment, dessen Seltenheit und plötzliche ungewohnte Intensität Dir zuruft, „Warte! Hier ist etwas für Dich bestimmt, hier bist Du gemeint.“ Und dann … dann ist es an Dir, mutig zu sein, zu handeln, die Chance, das neue Leben zu ergreifen, den Moment, den vielleicht einzigen für Dich bestimmten Moment in Deinem Leben nicht unbeteiligt und für immer verstreichen zu lassen. Denn es ist DEIN Moment. Er ist Dir zugedacht. Schärfe Deine Sinne, um ihn zu entdecken und reserviere immer ein wenig Mut für ihn … denn Du weißt nie wann und wo er Dich ereilt. Sei bereit.

Mich hat dieser Moment eiskalt in Patagonien erwischt.

“Weißt Du Annie, früher war Weihnachten für mich keine große Angelegenheit. Es bedeutete einfach nur Stress. Daher dachte ich mir auch nichts dabei über Weihnachten mit dem Motorrad zu verreisen. Doch genau seit dieser Zeit weiß ich, was Weihnachten eigentlich bedeutet.
Diese Zeit zeigt einem was es heißt das Tempo aus dem Alltag zu nehmen und das sich die Welt auch mit weniger Arbeit und Stress weiterdreht. Es heißt sein zu Hause zu genießen, sich mit Lebkuchen, Spekulatius und Zimtsternen vor den Kamin zu setzen und in sich zu gehen – über sein Leben nachzudenken.
Und es heißt, dass man diese Zeit mit seiner Familie und mit seinen Freunden verbringen sollte. Das hat mich diese Zeit damals gelehrt und das Motorrad und der Weihnachtsmann sollten mich stets daran erinnern.

„Und jetzt, meine liebe Annie, weißt Du auch … warum der alte Weihnachtsmann da an meinem Motorrad baumelt…“ lächelte ich und blickte, erwacht aus meiner Vergangenheit, in Annies Gesicht, die die ganze Zeit mucksmäuschenstill war und gebannt der Geschichte ihrer Oma gelauscht hatte.

„Omi, das ist eine schöne Geschichte!“ sagte Annie leise und kuschelte sich an meine Seite. Ich legte meine Hand auf ihre Wange und hielt ihren Kopf fest an meine Brust gedrückt. „Ja, Annie, das war eine schöne Geschichte und … das war ein schönes Leben … “ sagte ich. Wir saßen noch länger so da, meine Annie und ich, und sagten nichts.

Ein schöner Moment. Gedankenversunken saß ich dort. Annie löste sich aus meinem Arm, kramte noch ein wenig umher, zog meine alten, übergroßen Motorradhandschuhe über, wickelte sich eine Schal um den Hals, schlüpfte in meine alten Motorradstiefel, die ihr natürlich viel zu groß waren … und stapfte derart verkleidet durch den Schuppen … bis wir beide nicht mehr an uns halten konnten und so richtig laut lachen mussten….

Dann hörte ich eine Stimme. Meine Tochter … sie rief in den Schuppen hinein… „Hey, ihr beiden, seid ihr da drin?“ Annie lief zur Tür und hörte was war … „Ja, wir sind hier, Mama, ich komme raus.“ Annie stiefelte in den Riesenschuhen vorsichtig umher und rief dabei zu mir … „Komm Omi, Mama ruft, … wir müssen doch noch den Weihnachtsbaum schmücken.“

Langsam erhob ich mich von meinen Leinensäcken, klopfte den Staub von meiner Hose ab und rief zurück „Ja, Annie, ich komme“ und leise wiederholte ich … ganz leise und nur für mich frohe Weihnacht, meine Lieben“ … und langsam ging ich aus dem alten Bretterverschlag mit einem glücklichen Lächeln auf meinem alten Gesicht wieder hinaus … in mein jetziges Leben.

In diesem Sinne wünsche ich allen von ganzem Herzen ein
FROHES WEIHNACHTSFEST!

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